Interview Gruppenleitung

Der Börsengang hat der Zur Rose-Gruppe bedeutende Mittel für weiteres Wachstum eingebracht. In Deutschland sind mit forcierten Marke­tingaktivitäten und Akquisitionen sogleich starke Zeichen gesetzt worden. In der Schweiz sorgt die Versandapotheke mit Shops
für besondere Aufmerksamkeit.

Moderation: Medard Meier

Das Geschäftsjahr 2017 war für die Zur Rose-Gruppe sehr ereignisreich. Was war für Sie das persönliche Highlight?

Walter Oberhänsli — Die Frage ist einfach zu beantworten: der Börsengang. Wir beschäftigten uns schon längere Zeit damit. Nachdem sich der Europäische Ge­richtshof im Oktober 2016 gegen eine Wettbewerbsbenachteiligung auslän­discher Anbieter entschieden hatte, begannen wir mit den Vorbereitungen. Das Zeit­fenster an der Börse war günstig. Zur Freude aller ist der Börsengang bestens gelungen.

Marcel Ziwica — Für den Finanzchef ist ein IPO etwas vom Grössten, das man in seiner Karriere machen kann. Darum war der Börsengang ein absolutes High­light. Das Bilanzbild veränderte sich auf einen Schlag positiv. Die Zur Rose-Gruppe ist nun vollständig eigenfinanziert.

Wie viele Mittel standen Ihnen neu zur Ver­fügung?

Ziwica — Netto waren es 215 Millionen Franken, die wir entsprechend unseren angekündigten Plä­­nen im Rahmen der Wachstumsstrategie einsetzen: für orga­nisches Wachstum in Deutschland, für Akquisitionen, wovon zwei inzwischen getätigt sind, für Internationalisierung und für E-Health. 50 Millionen dienten der Rückzahlung der Anleihe, womit wir uns gleichzeitig neues Finanzierungs­potenzial geschaffen haben. Ergeben sich Opportunitäten, können wir nun schnell rea­gieren und Chancen sofort wahrnehmen.

Herr Heinrich, wie prägt das IPO das Deutschland-Geschäft?

Olaf Heinrich — Das IPO ermöglicht uns, die Wachstumsstrategie umzusetzen, wie wir sie uns vorgenommen haben. Für mich war das Highlight, zu sehen, dass wir ein Jahr nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs bei verschreibungs­pflichtigen Medikamenten wieder auf den Wachstumspfad zurückkehren konnten, den wir vor der Regulierung, der das Urteil zugrunde lag, beschritten hatten. Das zeigt, dass wir die über die Börse eingenommenen Mittel am Markt auch gut und richtig einsetzen.

Herr Hess, wie erlebten Sie als Segmentchef Schweiz das ereignisreiche IPO-Jahr?

Walter Hess — Das Geschäftsjahr war insbesondere durch den Aufbau von Kooperationen mit der Migros, Medbase und Krankenversicherern, aber natürlich auch durch das IPO geprägt. Der Börsengang hat uns zusätzliche Bekanntheit gebracht und unser Geschäft beflügelt.

Wie entwickelte sich das Geschäft?

Oberhänsli — Wir verfolgen seit 2016 eine ehrgeizige Wachstumsstrategie und sind erfreut, dass wir die hohen Ziele nicht nur erfüllen, sondern teilweise sogar übertreffen konnten. Das schafft Zuversicht für das neue Geschäftsjahr, denn das Wachstum muss weitergehen.

Hess — Das Schweizer Segment entwickelte sich sehr positiv. Im Ärztegeschäft verzeichneten wir Wachstumsraten, die deutlich über dem Markt liegen. Auch mit dem Retailgeschäft sind wir zufrieden. Die Kooperationen mit den Kranken­versicherern trugen ebenso dazu bei wie der Specialty-Care-Bereich mit den teuren Medikamentationen. Erfreulich sind auch die Beiträge aus den neuen stationären Apotheken.

Heinrich — DocMorris ist so gewachsen, wie wir uns das zum Ziel gesetzt hatten. Übers Jahr sind wir organisch bei plus 19 Prozent gelandet. Beim OTC-Geschäft liegt die Steigerung bei deutlich über 30 Prozent, bei den verschrei­bungspflichtigen Medikamenten immerhin im niedrigen zweistelligen Bereich.

Das Ergebnis der Gruppe ist zwar wie angekündigt rot. Hätten Sie das Resultat näher bei null erwartet?

Ziwica — Nein, wir haben absolut im Rahmen der Erwartungen abgeschlossen. Wir investierten bewusst in die Märkte. Das schlägt sich im Marke­tingaufwand nieder und entsprechend im Ergebnis. Die Investitionen in den Markt sind umsichtig gesteuert, um Neukunden zu akquirieren. Wir er­zielen daraus jedoch bereits Deckungsbeiträge, die sich sehen lassen können.

Wann werden Sie in die schwarzen Zahlen hineinwachsen?

Ziwica — Die bestehenden Geschäftsfelder und operativen Geschäfte werden auf Stufe EBITDA positive Ergebnisse abwerfen. Aus dem Wahrnehmen neuer Opportunitäten, der Integration der Akquisitionen und möglichen Schritten der Internationalisierung kommen abermals Belastungen auf uns zu, die das Ergebnis auch 2018 unter null drücken werden.

Oberhänsli — Unseren Ansatz, über ein verstärktes Marketing zu wachsen, behalten wir weiterhin bei. Wir nehmen damit bewusst rote Zahlen in Kauf. Ab einem gewissen Punkt der Marktdurchdringung werden wir den Marketing­aufwand relativ zum Umsatz reduzieren können, was uns dann in die schwarzen Zahlen führen wird.

Wie ist die zu erwartende Marktentwicklung unter dieser Prämisse zu sehen?

Hess — In der Schweiz wird das Wachstum in der Arzneimittelversorgung in den kommenden Jahren anhalten. Wir gehen davon aus, dass wir stärker als der Markt wachsen werden. Im Ärztegeschäft wird sich die Konsolidierung fortsetzen, was uns zugutekommt. Die Bestrebungen des Regulators, die Kosten im Gesund­heitswesen zu senken, sprechen ebenfalls für unsere Geschäftsmodelle. Das Versandgeschäft würde noch viel mehr Potenzial für Kosteneinsparungen bieten. Dies wird jedoch von der Politik immer noch stark unterschätzt und teilweise regulatorisch gar verhindert, wie das OTC-Urteil zeigt.

Wie entwickelt sich das stationäre Geschäft, in das Sie ebenfalls investieren? Zahlt es sich bereits aus? 

Hess — Auf jeden Fall! Wir werden in diesem Jahr mindestens zwei weitere Shop-in-Shop-Apotheken eröffnen. Die Sichtbarkeit und die Bekanntheit von Zur Rose werden dadurch weiter steigen. Letztlich zielen wir auf einen kanalüber­greifenden Einkauf und damit auf die Erhöhung der Convenience für die Kunden ab. Omni-Channel heisst das Schlüsselwort. Und die Erfahrung hat gezeigt: Es entspricht einem Bedürfnis.

Oberhänsli — Wir leben in einem Markt, in dem kein Preiswettbewerb stattfindet, weil die Apothekenketten dem Grosshandel gehören. Einer Kannibalisierung wirkt man entgegen, indem man das Niveau der Preise möglichst auf einem Höchststand hält. Unsere Initiative, über den stationären Handel das Angebot für den Konsumenten zu vergrössern, ist ein Erfolg versprechender Weg, zumal wir mit relevanten Rabatten operieren – faktisch als einzige in der Schweiz. Wir sehen in unserer Strategie viel disruptives Potenzial, den Schweizer Markt zu verändern.

Wie rosig ist der Ausblick in Deutschland?

Heinrich — Wir sehen nach wie vor ein beträchtliches Wachstumspotenzial in Deutschland. Ein grosses Thema ist die absehbare Konsolidierung im OTC-Markt, verursacht durch einen verschärften Wettbewerb. Wir werden eine aktive Rolle spielen. Bei den verschreibungspflichtigen Arzneimitteln gibt es weiterhin eine Diskussion über ein Versandverbot. Ein aktuelles Gutachten des Bundes­ministeriums für Wirtschaft und Energie bestätigt allerdings zweifelsfrei, dass der Europäische Gerichtshof mit seiner Einschätzung zum deutschen Apotheken­markt richtig lag und ein Verbot des Versandhandels vor dem Hintergrund der flächendeckenden Versorgung nicht zu rechtfertigen ist.

Oberhänsli — Gestützt auf Rechtsgutachten und Aussagen mehrerer Bundes­ministerien und Parteien bin ich überzeugt, dass ein Rx-Versandverbot ver­fassungswidrig und europarechtlich inkompatibel ist. Vor diesem Hintergrund sind wir sehr erstaunt, dass diese Beurteilungen offenbar nicht ausreichend gewürdigt wurden und die Intention eines Verbots in den Koalitionsvertrag aufgenommen wurde. Wir werden daher im Interesse der Patientinnen und Patienten sowohl in Deutschland als auch auf europäischer Ebene alle notwendigen juristischen und operativen Schritte unternehmen.

Was bedeuten die beiden Akquisitionen Eura­pon und Vitalsana für Ihr Geschäft?

Heinrich — Mit den Übernahmen stellten wir unsere aktive Rolle in der Bereinigung des Marktes des Versands rezeptfreier Arzneimittel unter Beweis. Dieses Geschäft ist ein zentraler Pfeiler unserer Wachstumsstrategie. Eurapon, die sehr unternehmerisch geführt ist, gewinnt bereits Marktanteile. Auf dieser Strategie können wir aufbauen. Mit Vitalsana sicherten wir uns die letzte am Markt verfügbare, niederländische Versandapotheke mit einem relevanten Umsatz und erhöhten somit in den Niederlanden die Markteintrittsbarriere. Die Medienkooperation mit dem bisherigen Besitzer Ströer, die wir gleichzeitig eingegangen sind, ermöglicht uns eine deutschlandweite Sichtbarkeit der Marke DocMorris. Die Entwicklung stimmt uns sehr zuversichtlich, die weitere Marktkonsolidierung erfolgreich nutzen zu können.

Stichwort Wachstum: Welche Haupttrends trei­ben das Geschäft zudem vorwärts?

Oberhänsli — Eine immer älter werdende und auf Arzneimittel angewiesene Gesellschaft, der stetig steigende Kostendruck im Gesundheitswesen sowie zunehmend informierte und sensi­bi­lisierte Verbraucherinnen und Verbraucher wer­den das Wachstumspotenzial unterstützen. Hinzu kommt, dass die Digitalisierung im Gesundheitssektor signifikant hinter anderen Konsumg­üterindustrien zurückgeblieben ist, was an der deutlich geringeren Online-Durchdringung des Gesundheitsmarktes zu sehen ist.

Wie sehen Sie Ihre Chancen in Bezug auf die Digitalisierung?

Hess — Mit dem weiteren Ausbau unseres digita­len Serviceportfolios möchten wir Beiträge zur Er­höhung der Therapietreue leisten, die Gesundheitsversorgung verbessern und die Kostenbelastung für das Gesundheitssystem und die Versicherten verringern. Der Einsatz von Smart Data ist dabei ein wichtiger Faktor.

Heinrich — Wir gehen davon aus, dass im deutschen Gesundheitssystem E-Health Anwendungen, Plattformlösungen sowie ein digitales Medikations­management künftig eine zentrale Rolle spielen werden. DocMorris entwickelt sich daher Schritt für Schritt vom Arzneimittelhändler zum digitalen Gesundheitsberater.

Welches sind die Ziele für 2018?

Oberhänsli — Wachstum, Wachstum, Wachstum.

Hess — Ausbau unserer profitablen Basis, des Ärzte­geschäfts, und Wachstum im Retailgeschäft, unter anderem durch den Ausbau der Kooperationen mit den Versicherern, Medbase und Migros.

Heinrich — Organisches Wachstum, aktive Teilnahme an der Marktbereinigung und Integration der übernommenen Unternehmen.

Ziwica — Digitalisierung, neue Markteintritte und Internationalisierung dürften für Tempo sorgen. Die Herausforderung wird sein, am Ball zu bleiben und unsere Leaderposition zu behaupten.

WALTER HESS (HEAD SWITZERLAND), WALTER OBERHÄNSLI (CEO), MARCEL ZIWICA (CFO), OLAF HEINRICH (HEAD GERMANY).

«Wir sind erfreut, dass wir die hohen Ziele nicht nur erfüllen, sondern teilweise sogar übertreffen konnten.» Walter Oberhänsli

«Im Ärztegeschäft verzeichneten wir Wachstumsraten, die deutlich über dem Markt liegen.»
Walter Hess

«Mit den Akquisitionen stellten wir unsere aktive Rolle in der Bereinigung des Marktes unter Beweis.»
Olaf Heinrich