Interview Madhu Nutakki
Madhu Nutakki ist seit August 2021 Chief Technology Officer (CTO) und damit neuestes Mitglied der Konzernleitung bei der Zur Rose-Gruppe. Innovation ist Nutakkis Welt – egal ob digitale Transformation, digitales Marketing oder globale Ökosysteme. Ein Interview.
Madhu Nutakki, Sie sind seit nunmehr über einem halben Jahr als CTO bei der Zur Rose-Gruppe tätig. Vorherige berufliche Stationen waren u. a. die Nissan Motor Corporation in Japan sowie Kaiser Permanente. In der US-amerikanischen Health Maintenance Organisation hatten Sie zuletzt die Position als Vice President Digital Health Applications and Platforms inne. Was hat Sie dazu bewogen, Teil der Schweizer Zur Rose-Gruppe zu werden?
M.N. — Die Corona-Pandemie hat verdeutlicht, dass das Gesundheitswesen eine fundamentale Stütze für die gesamte Wirtschaft bildet. Insbesondere das europäische Gesundheitswesen birgt ein enormes Potenzial punkto digitaler Transformation. An dieser Entwicklung aktiv beteiligt zu sein, war ein grosser Anreiz für mich. Eine der wichtigsten Erkenntnisse, die ich aus meinem bisherigen Werdegang in verschiedensten Branchen gezogen habe: Der Endkonsument hat den grössten Nutzen aus technologischen Lösungen. Daher müssen diese als Chance und nicht als Bedrohung betrachtet werden. Ich bin zu einem Zeitpunkt zu der Zur Rose-Gruppe gekommen, in dem digitale Kundenerwartungen kontinuierlich ansteigen und staatliche Rahmenbedingungen sich ebenfalls in Richtung Digitalisierung entwickeln. Bei Zur Rose ist es mir möglich, in einem internationalen Unternehmen zu arbeiten, das mit seiner Vision, das führende europäische Gesundheitsökosystem zu werden, ein Hauptakteur in seiner Branche ist. Letztlich fühlt sich die Rückkehr in die Gesundheitsbranche auch wie eine Heimkehr an für mich.
Das europäische Gesundheitswesen birgt punkto digitaler Transformation ein enormes Potenzial.
Sie kommen aus einem internationalen Umfeld, sind selbst US-Amerikaner. Wo sehen Sie das europäische Gesundheitswesen derzeit im Vergleich zur USA oder zu Asien? Wo müssen wir in Europa hinsichtlich Digital Health in besonderem Masse aufholen?
M. N. — Die Digitalisierung ist unvermeidlich – und das branchen- und standortunabhängig. Ich bin der Meinung, dass das Gesundheitswesen den Zeitpunkt der digitalen Transformation selbst bestimmt, das heisst nach seinem eigenen Tempo. Der Grund dafür liegt in der enormen Komplexität dieser Branche, die ausserdem als eine der wenigen tatsächlich vermag, die Leben der Menschen in entscheidendem Masse zu beeinflussen. Hinzu kommt, dass die Digitalisierung des Gesundheitswesens stark vom jeweiligen gesellschaftlichen Wertesystem abhängt, das hinter einem Land steht. Es sollte also weniger darum gehen, wer an der Spitze steht und wer eher als Nachzügler gilt. Vielmehr kommt es darauf an, ob in der Region alle relevanten Faktoren zusammenkommen können: Sind die Menschen bereit? Sind die gesetzlichen Rahmenbedingungen geschaffen? Sind die dahinterstehenden Wertschöpfungsketten weit genug ausgebildet? Dies sind nur einige von vielen essenziellen Fragen. Eine der konkret anstehenden Chancen, digitale Gesundheit in den Alltag der Menschen in Europa zu integrieren, ist beispielsweise über die Einführung des elektronischen Rezepts. Hier bedarf es eines sorgfältig durchdachten Ablaufplans, der ausserdem die Convenience auf Kundenseite stets im Auge behält.
«Eine der konkret anstehenden Chancen, digitale Gesundheit in den Alltag der Menschen in Europa zu integrieren, ist über die Einführung des elektronischen Rezepts.»
Sie haben die Vision der Zur Rose-Gruppe, das führende europäische Gesundheitsökosystem zu werden, angesprochen. Ist das eines der Themen das Sie derzeit als CTO hauptsächlich beschäftigt?
M. N. — Unsere Vision, das führende europäische Gesundheitsökosystem zu werden, ist sicherlich eines der Themen, das mein Team und mich derzeit stark umtreibt. Um dieses Ziel zu erreichen, braucht es einen guten Mix aus langfristiger Planung und kurzfristiger Taktik. 80 Prozent aller Digitalisierungsmassnahmen sind unabhängig von der Branche immer die gleichen: kundenzentrierte Erfahrungen sammeln, Daten nutzen, einen Mobile-First-Ansatz anwenden sowie Mehrwert in das Ökosystem implementieren. Die verbleibenden 20 Prozent sind es also, mit denen die Zur Rose-Gruppe den entscheidenden Vorteil einbringen kann.
Ich habe in meiner beruflichen Laufbahn gelernt, den Kunden nie als selbstverständlich zu betrachten. Gleichzeitig wurde mir als Software-Ingenieur beigebracht, welches Potenzial hinter digitalen Lösungen steckt. Die Balance zwischen diesen beiden Aspekten zu halten – die nötige Empathie gegenüber dem Kunden aufzubringen und die Leistungsfähigkeit von Software zu nutzen –, ist das, worauf ich mich jetzt und auch in Zukunft konzentriere.
«Ich habe in meiner beruflichen Laufbahn gelernt, den Kunden nie als selbstverständlich zu betrachten.»
Sie leiten nicht nur die technologiegetriebenen Themen der Unternehmensgruppe – und damit europaweit –, sondern auch die drei Tech-Hubs in Barcelona, Berlin und Winterthur. Wo liegt hier der Schwerpunkt für 2022?
M. N. — Mir ist es wichtig, auch über den Tellerrand blicken zu können. Zukunftsweisenden Entwicklungen wie Künstlicher Intelligenz, Machine Learning, Cloud, Robotic Process Automation oder Blockchain ausschliesslich nachzulaufen, halte ich nicht für zweckmässig. Ich sehe meine Aufgabe dann als erfüllt, wenn ich gemeinsam mit einem Team aus erfahrenen Designern, Produktmanagern, Software-Enthusiasten und Datenjongleuren eine Reihe an Lösungen entwickeln kann, die für den Nutzer letztlich nicht nur bequem – also «convenient» – sind, sondern auch tatsächlichen Mehrwert bieten. In einer Welt, die durch Covid-19 auf den Kopf gestellt wurde, hat sich auch das Konzept eines Technologie-Hubs grundlegend geändert. Während die Bedeutung von Standorten an sich stark abgenommen hat, sind es Kollaboration und die Fähigkeit, damit einen zusätzlichen Nutzen zu generieren, die zum alles unterscheidenden Merkmal geworden sind. Wir werden weiterhin die Kompetenzen in jedem der drei Hubs bündeln, dabei aber produktorientierte Spezialisierungen berücksichtigen. Mein übergeordnetes Ziel ist es, jede Mitarbeiterin und jeden Mitarbeiter – unabhängig des Standorts – zu befähigen, eigene Entscheidungen zu treffen.
«Mir ist daran gelegen, eine nachhaltige Basis zu schaffen, auf der Produkte und Funktionen entwickelt werden, die das Leben der Kunden bereichern.»
Die DocMorris-App ist und wird das digitale Aushängeschild der Zur Rose-Gruppe sein. Wie zufrieden sind Sie mit dem aktuellen Stand, und was können die Nutzer im Jahr 2022 an Weiterentwicklung erwarten?
M. N. — Hier möchte ich auf eine kleine Anekdote zurückgreifen: Ich erinnere mich an meine erste mobile Anwendung, die ebenfalls in der Gesundheitsbranche angesiedelt war und an der ich vor mehr als zehn Jahren gearbeitet habe. Die Ursprungsversion war sehr kleinteilig, sodass einer der Produktmanager diese als «niedlich und funktional» bezeichnete. Letztlich hat diese erste Variante nicht den erwarteten Erfolg verbucht. Die wichtige Erkenntnis hinter dieser Geschichte? Eine App ist nur einer von vielen Kanälen. Was wir aber wirklich erreichen wollen, ist eine empathische Verbindung zum Nutzer herzustellen. Die zahlreichen Marken der Zur Rose-Gruppe haben bereits ein starkes Vertrauen bei den Kunden aufgebaut. Der digitale Kanal dahinter muss nun dieses Versprechen auch einlösen. Dabei bilden Convenience den dahinterstehenden Wert, das Vertrauen den entscheidenden Vorteil und die Erfahrung die relevante Basis.
Unser aktuelles Anliegen für die Kunden in Deutschland ist den Weg zum E-Rezept so nahtlos und intuitiv wie möglich über die DocMorris-App zu schaffen. Die App bildet einen relevanten Kanal auf dem Weg zu einer umfassenderen Gesundheitsjourney für unsere Kunden.
Zum Schluss ein Blick in die Glaskugel: Wo sehen Sie das europäische Gesundheitswesen generell und die Zur Rose-Gruppe im Besonderen in fünf Jahren?
M. N. — Die Entwicklungen im Gesundheitswesen sind nicht wirklich vorhersehbar – und das ist gleichzeitig eine der grössten Stärken. Denn wer hätte beispielsweise die globalen Auswirkungen der Pandemie absehen können? Ich bin nicht daran interessiert, auf Trends aufzuspringen. Stattdessen ist mir daran gelegen, eine nachhaltige Basis zu schaffen, auf der Produkte und Funktionen entwickelt werden können, die das Leben der Kunden bereichern – und das ganz unabhängig von aktuellen Entwicklungen.
Eine vernetzte Gesundheitsjourney für Kunden in Europa zu schaffen, ist kein weit entfernter Traum. Viele der Schlüsselkomponenten werden bereits Schritt für Schritt umgesetzt. Die Zur Rose-Gruppe ist eine etablierte, starke Marke im Gesundheitswesen und kann somit das gesammelte Wissen über ihre Kunden einbringen – insbesondere was deren Bedürfnisse und Erwartungen betrifft. Auch die bereits erfolgten Kooperationen zeigen, mit welchem Engagement sich Zur Rose für die Digitalisierung des europäischen Gesundheitswesens einsetzt. Nicht zuletzt ist es eines meiner Hauptziele, die jetzigen Nutzer frühzeitig als langfristige Befürworter digitaler Gesundheit zu gewinnen.
Madhu Nutakki ist US-Amerikaner und gebürtiger Inder. Der Visionär bringt über 20 Jahre Erfahrung in der erfolgreichen Transformation von Unternehmen sowie von deren Technologien und Geschäftsmodellen mit.